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Von Elefanten und mentalen Fesseln


Folgende Situation haben Sie sicher auch schon erlebt: Sie sind überzeugt, dass Sie eine super Idee haben. Die Idee ist so gut, so glauben sie zumindest, dass Sie ihre Mitarbeiter, Ihr Team, Ihre Mannschaft oder Ihren Vorstand bestimmt dafür gewinnen können.

Voller Enthusiasmus präsentieren Sie Ihre Gedanken und dann: statt tosenden Applaus zu ernten, herrscht Stille, statt der erhofften Überzeugung lesen Sie Zweifel in den Gesichtsausdrücken Ihrer Zuhörer. „Das kann man nicht tun“, „das wurde noch nie so gemacht“ oder „ich glaube nicht, dass das funktioniert“, tönt es aus der Runde. Sie sind enttäuscht.

Wenn Sie aber mit sich ehrlich sind, dann müssen Sie sicher zugeben, dass Sie selber auch schon so reagiert haben. Oftmals sind wir überzeugt, dass wir einer bestimmten Herausforderung nicht gewachsen sind, und deshalb, so die logische Folge, versuchen wir es gar nicht. Immer wieder erzählen mir Leute von ihren Träumen und Wünschen. Wenn ich könnte, würde ich auswandern, wenn ich könnte, würde ich an die Universität gehen, wenn ich könnte, würde ich einen neuen Beruf erlernen, wenn ich könnte, würde ich abnehmen, wenn ich könnte, würde ich einen Marathon laufen, wenn ich könnte, würde ich mich selbständig machen und und und… Weshalb sind wir sicher, dass wir etwas nicht können? Wieso glauben wir, dass wir den Misserfolg voraussagen können? Ganz einfach: wir schliessen aus unseren Erfahrungen, welche wir in der Vergangenheit gemacht haben, auf zukünftige Resultate. Die Konsequenz daraus ist, dass wir uns gewissen Herausforderungen gar nicht erst stellen. Statt es zu versuchen, reden wir uns ein, dass es unser Schicksal sei, dass manche Träume für uns unerreichbar bleiben. Bei genauer Betrachtung sind wir somit Gefangene unserer Selbstwahrnehmung. In den Sommerferien las ich eine wunderschöne Geschichte, welche dieses Phänomen exemplarisch darstellt. Geschrieben wurde die Fabel vom Psychotherapeuten Jorge Bucay. Sein empfehlenswertes Buch „Komm, ich erzähl dir eine Geschichte“, beginnt der Argentinier mit der kurzen Erzählung über den angeketteten Elefanten. Diese Geschichte möchte ich Ihnen nun erzählen: „Als ich ein kleiner Junge war, war ich wollkommen vom Zirkus fasziniert, und am meisten gefielen mir die Tiere. Vor allem der Elefant hatte es mir angetan. Wie ich später erfuhr, ist er das Lieblingstier vieler Kinder. Während der Zirkusvorstellung stellte das riesige Tier sein ungeheures Gewicht, seine eindrucksvolle Grösse und seine Kraft zur Schau. Nach der Vorstellung aber und auch in der Zeit bis kurz vor seinem Auftritt blieb der Elefant immer am Fuss an einen kleinen Pflock angekettet. Der Pflock war allerdings nichts weiter als ein winziges Stück Holz, das kaum ein paar Zentimeter tief in der Erde steckte. Und obwohl die Kette mächtig und schwer war, stand für mich ganz ausser Zweifel, dass ein Tier, das die Kraft hatte, einen Baum mitsamt der Wurzel auszureissen, sich mit Leichtigkeit von einem solchen Pflock befreiten und fliehen konnte. Dieses Rätsel beschäftigt mich bis heute. Was hält ihn zurück? Warum macht er sich nicht auf und davon? Als Sechs- oder Siebenjähriger vertraute ich noch auf die Weisheit der Erwachsenen. Also fragte ich einen Lehrer, einen Vater oder Onkel nach dem Rätsel des Elefanten. Einer von ihnen erklärte mir, der Elefant mache sich nicht aus dem Staub, weil der dressiert sei. Meine nächste Frage lag auf der Hand: „Und wenn er dressiert ist, warum muss er dann noch angekettet werden?“ Ich erinnerte mich nicht, je eine schlüssige Antwort darauf bekommen zu haben. Mit der Zeit vergass ich das Rätsel um den angeketteten Elefanten und erinnerte mich nur dann wieder daran, wenn ich auf andere Menschen traf, die sich dieselbe Frage irgendwann auch schon einmal gestellt hatten. Vor einigen Jahren fand ich heraus, dass zu meinem Glück doch schon jemand weise genug gewesen war, die Antwort auf die Frage zu finden: Der Zirkuselefant flieht nicht, weil er schon seit frühester Kindheit an einen solchen Pflock gekettet ist. Ich schloss die Augen und stelle mir den wehrlosen neugeborenen Elefanten am Pflock vor. Ich war mir sicher, dass er in diesem Moment schubst, zieht und schwitzt und sich zu befreien versucht. Und trotz aller Anstrengung gelingt es ihm nicht, weil dieser Pflock zu fest in der Erde steckt. Ich stellte mir vor, dass er erschöpft einschläft und es am nächsten Tag gleich wieder probiert, und am nächsten Tag wieder, und am nächsten …. Bis eines Tages, eines für seine Zukunft verhängnisvollen Tages, das Tier seine Ohnmacht akzeptiert und sich in sein Schicksal fügt. Dieser riesige, mächtige Elefant, den wir aus dem Zirkus kennen, flieht nicht, weil der Ärmste glaubt, dass er es nicht kann. Allzu tief hat sich die Erinnerung daran, wie ohnmächtig er sich kurz nach seiner Geburt gefühlt hat, in sein Gedächtnis eingebrannt. Und das Schlimme dabei ist, dass er diese Erinnerung nie wieder ernsthaft hinterfragt hat. Nie wieder hat er versucht, seine Kraft auf die Probe zu stellen.“ So die Geschichte des Elefanten. Bucay kommt zum Schluss, dass es uns allen so geht wie dem Zirkuselefanten: Wir bewegen uns in der Welt, als wären wir an Hunderte von Pflöcken gekettet. Wir glauben, einen ganzen Haufen Dinge nicht zu können, nur weil wir sie ein einziges Mal – vor sehr langer Zeit – ausprobiert haben und gescheitert sind. Wir haben uns genauso verhalten wie der Elefant, und auch in unser Gedächtnis hat sich die Botschaft eingebrannt: Ich kann das nicht, und ich werde es niemals können. Mit dieser Botschaft – der Botschaft, dass wir machtlos sind – sind wir gross geworden, und seitdem haben wir niemals mehr versucht, uns von unserem Pflock loszureissen. Manchmal, wenn wir die Fussfesseln wieder spüren und mit den Ketten klirren, gerät uns der Pflock in den Blick und wir denken: Ich kann es nicht, und werde es niemals können. In diesem Sinn sollten wir anfangen, uns selber immer wieder zu hinterfragen, ob unser Glaube an ein mögliches Versagen tatsächlich berechtigt ist, oder ob wir nur Gefangene einer mentalen Kette sind. Eigentlich gibt es nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob ich etwas kann oder nicht kann, nämlich indem ich es ausprobiere. Wenn es dann nicht klappt, dann muss ich es halt wieder versuchen. Vielleicht dauert es einen Moment, vielleicht muss ich meine Voraussetzungen ändern, indem ich zum Beispiel anfange zu trainieren, in die Schule gehe oder ganz einfach einen neuen Weg versuche, um zum Ziel zu gelangen. Also liebe Leser, lösen Sie sich von den mentalen Fesseln und bringen Sie den Mut auf, das vermeintlich Unmögliche zu probieren.

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