Und plötzlich ist er da – der Sensenmann.
Der Tod macht uns Angst. Doch ist dies berechtigt? Macht das überhaupt Sinn? Sollte der Tod uns nicht viel eher eine Triebfeder sein? Einige Gedanken zu unserem Verhältnis mit dem Sensenmann.
Obwohl der Tod eigentlich allgegenwärtig ist, werden wir durch die Nachricht über den Hinschied eines uns nahestehenden Menschen in der Regel überrumpelt, wenn nicht sogar überfordert. Der Tod wird derart aus unseren Gedanken verdrängt, dass uns sein plötzliches Erscheinen wie ein Blitz aus heiterem Himmel trifft. Wenn der Tod in unseren Alltag tritt, dann sorgt er unmittelbar für einiges an Konfusion. All unser Tun scheint nebensächlich zu werden. Was gestern noch von grösster Wichtigkeit war, erscheint heute plötzlich als Nebensächlichkeit. Unsere Gedanken und Gefühle werden durch die Erinnerung an den verstorbenen Menschen vereinnahmt. Gleichzeitig werden wir auch schlagartig unserer eigenen Vergänglichkeit bewusst. Vor allem der (zu) frühe Tod eines Menschen führt uns auf brutale Art und Weise unsere eigene Sterblichkeit vor Augen. Dieses Bewusstsein, dass uns das Leben jederzeit genommen werden kann, wirkt bedrohlich. Wie soll man nun mit dieser Bedrohung umgehen? Müssen wir uns dadurch ängstigen lassen und versuchen alle Risiken zu vermeiden, oder sollte uns diese Bedrohung als Motivation dienen? Der römische Philosoph Seneca schreibt in einem seiner Briefe an Lucilius über Ethik (Epistulae morales ad Lucilium): „Lasst uns unseren Verstand so vorbereiten, als seien wir am Lebensende angekommen. Lasst uns nichts verschieben. Lasst uns jeden Tag die Bücher des Lebens ausgleichen.“ Dieses Zitat von Seneca erinnert an das bekannte Sprichwort „Lebe jeden Tag als wäre es dein letzter“. Ein Sprichwort, dass zwar von vielen zitiert, aber von kaum jemandem umgesetzt wird. Dies auch zu Recht. Denn diese auf den ersten Blick doch eher saloppe Aufforderung sein Leben in vollen Zügen zu geniessen, statt Pläne für die Zukunft zu schmieden, funktioniert einfach nicht. Was aber meint Seneca mit seiner Aufforderung nichts zu verschieben und jeden Tag die Bücher des Lebens auszugleichen? Der amerikanische Autor Ryan Holiday macht in diesem Zusammenhang den Vergleich zu einem Soldaten, der kurz vor einem Einsatz steht. „Er bringt seine Angelegenheiten in Ordnung. Er kümmert sich um die geschäftlichen Dinge. Er sagt seinen Kindern, seiner Familie, dass er sie liebt. Er hat keine Zeit für Streitereien oder Kleinkram. Am nächsten Morgen ist er dann abfahrbereit – er hofft, dass er heil und gesund zurückkommen wird, doch er ist darauf vorbereitet, dass dies vielleicht auch nicht passiert.“ Wir sollten uns also immer wieder die Frage stellen, ob ich meine Familie, meine Freunde, meine Kameraden, meine Arbeitskollegen u.s.w. mit einem ruhigen Gewissen zurücklassen kann. Habe ich meine Pflichten erledigt, oder gibt’s es noch unerledigte Dinge, welche für andere Menschen nach meinem Ableben zu einer Bürde werden können? Habe ich den von mir geschätzten Menschen meine Anerkennung kundgetan? Wenn nicht, dann ist es Zeit, dass ich das tue und zwar so schnell wie möglich. Anstatt den Tod aus Angst zu verdrängen, sollten wir ihn stets in unserem Bewusstsein haben, so wie der Zauberer Prospero in Shakespeares Theaterstück „Der Sturm“, der sich nach Mailand zurückziehen will „wo jeder dritte Gedanke mein Grab sein soll“. Der bevorstehende Tod soll uns als Ansporn dienen, um das Beste aus uns herauszuholen. Machen wir also die Tatsache, dass der Sensenmann uns jederzeit heimsuchen kann, zu unserer Triebfeder Gutes zu tun und gut zu sein. Der römische Kaiser Marc Aurel schreibt dazu in seinen „Selbstbetrachtungen“: „Benimm Dich nicht, als ob Du für immer leben könntest. Was das Schicksal vorbestimmt hat, schwebt schon über Dir. So lange Du lebst und so lange Du kannst, werde jetzt ein guter Mensch.“ Auch wenn wir uns im Klaren darüber sind, dass wir nie ein perfekter Mensch sein werden, so sollten wir doch täglich versuchen uns zu verbessern. Wir müssen sofort anfangen gut zu sein, ein Aufschieben auf Morgen kann bereits zu spät sein. Denn, wohl kaum jemand will als streitsüchtiger, egozentrischer, selbstsüchtiger, gefühlloser, disziplinloser oder rücksichtsloser Mensch in Erinnerung bleiben. Die Erkenntnis darüber, dass wir zu jedem Zeitpunkt durch den Freund Hein abgeholt werden können, soll uns also definitiv nicht fürchten, sondern uns motivieren. Der Ansporn soll einerseits sein, dass wir unsere Zeit nicht vergeuden, vergeuden mit Kleinkram, Streitigkeiten, Ärger, Neid und Missgunst und andererseits, dass wir unsere Zeit nutzen ein möglichst guter und tugendhafter Mensch zu sein.