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Feiert mit den Toten und freut Euch des Lebens


Heute mache ich eine Ausnahme. Normalerweise veröffentliche ich die neuen Folgen des Podcast jeweils am Sonntagmorgen. Diese 82. Ausgabe stelle ich aus speziellem Anlass bereits am heutigen Mittwoch ins Netz. Heute am 2. November feiern nämlich die Menschen in Mexiko den "Dia de los Muertos" – den Tag der Toten. Genau genommen sind es sogar drei Tage an denen gefeiert wird, vom 31. Oktober, also vom Vorabend von Allerheiligen bis zu Allerseelen am 2. November.

Der "Dia de los Muertos" ist eine Verschmelzung von präkolumbianischen polytheistischen religiösen Traditionen (Olmeken, Maya, Azteken usw.) und iberischen Feiertagen, die ihrerseits eine komplexe Mischung aus christlichen und "heidnischen" Traditionen darstellen.


Dieser kulturelle Mischmasch hat dem Feiertag seine einzigartige folkloristische und künstlerische Tradition verliehen. So unterschiedlich die präkolumbianische und die iberische Kultur auch waren, so gab es doch einige Gemeinsamkeiten, welche dabei halfen, die Unterschiede zu überbrücken und eine einzigartige mexikanische Tradition zu schaffen.


Der "Dia de los Muertos" dient nicht nur als Bindeglied zwischen Leben und Tod, sondern auch zwischen Mexikos Vergangenheit und Gegenwart. Kein anderes Fest in Mexiko, sei es ein ziviles, wie der Cinco de Mayo oder ein religiöses, kommt an die künstlerische und folkloristische Bedeutung dieser Festtage heran.


Auch im heutigen Mexiko übt der "Dia de los Muertos" eine grosse psychologische Anziehungskraft aus. Der Feiertag wird sowohl als intime private als auch als öffentliche Aktivität gefeiert.


Aufgrund der zahlreichen mexikanischen Einwanderer in verschiedene Regionen der USA, wird es sicher in naher oder ferner Zukunft zu neuen Fusionen und Variationen der Traditionen des "Dia de los Muertos" kommen.


Allein der Name übt eine grosse Faszination aus. Welcher Dualismus ist zwingender als Leben und Tod? Religion, Philosophie und Wissenschaft beschäftigen sich seit jeher alle mit dem Geheimnis des Todes und seinen Folgen für das Leben. Der "Dia de los Muertos" spricht in diesem Sinne auch das menschliche Bedürfnis an, die relative Kürze zwischen Leben und Tod zu erkennen, zu verstehen und ihr einen Sinn zu geben. Es ist die Beziehung zwischen Leben und Tod, zwischen den Lebenden und den Toten, die jedes Jahr in Mexiko während der drei Tage dieses Festes im Mittelpunkt steht.


Der "Dia de los Muertos" ist voller freudiger Feierlichkeiten, die von einer warmen Erwartung des Wiedersehens mit den Toten geprägt ist. Viele der heutigen Bräuche am "Dia de los Muertos" stammen aus der Zeit vor der katholischen Präsenz auf dem amerikanischen Kontinent. Wie z.B. die Bilder von Schädeln und Skeletten, die allgegenwärtigen Ringelblumen, die sogenannten Totenblumen oder die Dekoration von Gräbern mit Kerzen. Andere Bräuche gehen auf den spanischen Volkskatholizismus des europäischen Mittelalters zurück, der ebenfalls heidnische Bräuche einschmelzen liess, so z.B. die heidnischen Traditionen des Offerierens von Speisen für die Toten. Als die Spanier in Amerika ankamen, trafen sie auf uralte und gut etablierte Feste zu Ehren der doppelten Natur der Existenz, die in Leben und Tod begründet ist. Diese Feste wurden damals in den katholischen Kalender aufgenommen.


Im Einklang mit dem katholischen Kalender wird der "Dia de los Muertos" drei Tage lang gefeiert, vom 31. Oktober bis zum 2. November. Die Vorbereitungen beginnen in der Regel schon Monate vor dem Fest. Es werden Altäre für Haushalte, Friedhöfe und oft auch für städtische Einrichtungen gebaut. Aus Pappmaché und Gips werden freundliche Skelette gebastelt, die tanzen oder die Tätigkeiten und Aufgaben des täglichen Lebens ausführen. Masken, Kostüme, Scherenschnitte und kunstvolle Totenköpfe aus Zucker werden hergestellt. Meistens sind diese Gegenstände sehr persönlich gestaltet und sollen an ein verstorbenes Familienmitglied, einen geliebten Menschen oder sogar ein geliebtes Haustier erinnern.


Die Gräber werden gereinigt und mit Ringelblumen und Kerzen geschmückt. Fotos und Gegenstände, die den Beruf oder die Lieblingsbeschäftigung des Verstorbenen symbolisieren, schmücken die Gräber. In der Nacht versammeln sich die Lebenden im Schein der Kerzen, um sich mit den Toten zu unterhalten und ihrer zu gedenken. Essen, Getränke und Zigaretten locken die Seelen der Toten zu einem Besuch zurück. Der Duft von Ringelblumen und das Aroma der Lieblingsspeisen der Verstorbenen sollen die Geister zu ihrem früheren Zuhause führen. Personalisierte Altäre dienen als Landeplätze für die lange vermissten Toten.


Während der Feierlichkeiten zum Dia de los Muertos herrscht kein Hauch von Morbidität. Selbst die tanzenden, schelmischen Skelette (calaveras) sorgen mit ihren spöttischen Gesten und Gewändern für Erheiterung. Die Wiedervereinigung der Lebenden mit den Verstorbenen verleiht dem Dia de los Muertos eine ausgesprochen fröhliche Atmosphäre.

Die für den den Dia de los Muertos mühsam geschaffenen Kunstwerke sind allesamt vergänglich, so vergänglich wie das Leben selbst. Am Ende des Festes sollen sie verbraucht, gegessen oder zerstört werden.


Das unverkrampfte Verhältnis der Mexikaner zum Tod kommentierte der Schriftsteller Octavio Paz wie folgt: "Der Mexikaner ist mit dem Tod vertraut, scherzt über ihn, streichelt ihn, schläft mit ihm und feiert ihn. Er ist eines seiner Lieblingsspielzeuge und seine unerschütterlichste Liebe".


In Mexiko heisst es, dass die Menschen drei Tode sterben. von denen der dritte der ergreifendste und letzte ist. Der erste Tod ist das Versagen des Körpers. Der zweite ist die Beerdigung des Körpers. Der endgültige Tod ist der dritte Tod. Dieser tritt ein, wenn niemand mehr da ist, der sich an uns erinnert.


Also liebe Leserinnen und Leser, auf die Gefahr hin, dass mir kulturelle Aneignung vorgeworfen wird, rufe ich auf, Euch heute am "Dia de los Muertos" jener zu erinnern, die nicht mehr unter uns sind. Erhebt das Glas nicht in Trauer, sondern freudvoll und dankbar auf jene, die Euch begleitet und Euch Freude bereitet haben. Und danach, erhebt das Glas noch einmal, dann aber in Gedenken an den eigenen bevorstehenden Tod bzw. auf all jene guten Menschen und schöne Dinge, die uns im Hier und Jetzt begleiten.


Memento Mori!


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