Überflüssige Manager
Brauchen wir in der Arbeitswelt noch Manager, welche dirigieren, regulieren, kontrollieren und sanktionieren oder sind die arbeitenden Menschen in der Lage sich selbst zu managen? Verdrängen kontrollwütige Manager visionäre Leader? Hat der Beruf des Managers mit dem Übergang in eine postindustrielle Gesellschaft noch seine Daseinsberechtigung oder ist er überflüssig? Die Corona Pandemie hilft bei der Beantwortung dieser Fragen.
Vor einigen Jahren diskutierten wir innerhalb der Organisation, in welcher ich damals tätig war, darüber wie man mit Home Office umgehen will. Die Mehrheit der Geschäftsleitung war der Ansicht, dass es diesbezüglich klare Regeln brauche. Die grösste Befürchtung war jene nach dem Kontrollverlust. Aus diesem Grund sollte die Möglichkeit von Home Office oder Telearbeit auf ein Minimum reduziert werden. Am Schluss war sich die Mehrheit - zu welcher ich nicht gehört habe - einig, dass die Mitarbeitenden – allesamt am Computer arbeitend – mindestens vier Tage pro Woche am Arbeitsplatz präsent sein müssten. Bei Personen, welche nicht zu 100 Prozent angestellt waren, wurde die Präsenzkultur vollumfänglich beibehalten.
Damit möglichst wenige Mitarbeitende von der Möglichkeit zur Telearbeit Gebrauch machen, wurde eine umfassende Regulation beschlossen. Die Absicht war klar: Wir bieten zwar die Möglichkeit für Home Office an, der Bewilligungsweg soll aber möglichst abschreckend wirken. So wurde verlangt, dass Mitarbeitende ein Gesuch mit umfassender Begründung abzugeben haben, jeder Vorgesetzte bis zum Leiter der Organisationseinheit seine Einwilligung geben muss, dass der Wochentag zu definieren ist und nicht ohne Gesuch geändert werden kann, dass Montag und Freitag als Telearbeits-Tage nicht gewählt werden durften und die Mitarbeitenden im Home Office von 08.00 Uhr bis 17.00 Uhr telefonisch erreichbar sein müssen.
Es war dies ein typischer Fall davon, wie sich das Management gegen Veränderung wehrt. Weil der Zeitgeist und vor allem die jungen Arbeitnehmenden, vermehrt flexible Arbeitsmodelle verlangen, konnte man sich nicht mehr vollumfänglich gegen das remote Arbeiten stellen. Was man aber konnte, war den drohenden Kontrollverlust durch zusätzliche Regulierung kompensieren.
Mit der Corona-Pandemie hat sich die Ausgangslage verändert. Die Präsenzkultur musste gezwungenermassen ausgesetzt werden. Während den ersten Monaten versuchten gewisse Manager noch krampfhaft Kontrollmechanismen einzuführen und umzusetzen. In gewissen Unternehmungen wurden die durch die Regierung vorgeschriebenen Schutzmassnahmen schlicht ignoriert. Erst als dann ganze Leitungsgremien gleichzeitig in die Quarantäne mussten, gab man zähneknirschend nach. Und was ist dann passiert? Die Arbeitsleistung der Mitarbeitenden brach nicht zusammen.
MIT-Professor Douglas McGregor stellte in den 1960er Jahren zwei Menschenbilder gegenüber. Die Theorie X geht davon aus, dass der Mensch von Natur aus faul ist und versucht, der Arbeit so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Ihr gegenüber steht die Theorie Y, welche glaubt, dass der Mensch durchaus ehrgeizig, verantwortungsbewusst und kreativ ist und keiner Kontrolle bedarf. Die Pandemie hat eindrücklich gezeigt: Für die grosse Mehrheit der Menschen trifft Theorie Y zu. Wir können also aufgrund der Erfahrungen des letzten Jahres sagen, dass der Mensch über ein genügendes Mass an Selbstdisziplin und Selbstkontrolle verfügt, um ohne zusätzliche Kontrolle zu arbeiten.
Und es kommt noch besser. Menschen sind nicht nur im Stande ohne Aufsicht zu arbeiten, sie arbeiten sogar besser! In der Harvard Business Review beschreibt Nathaniel Koloc, Mitbegründer und CEO von ReWork (heute Teil von Koya Leaderships Partners)bereits im Jahre 2014, die Vorteile, die es mit sich bringt, seinen Mitarbeitern mehr Freiheiten zu geben. Gemäss Koloc sind Mitarbeitende tendenziell produktiver, wenn sie mehr Flexibilität bei der Arbeit haben. Eine Studie der Stanford University und der Beijing University aus dem Jahr 2013 ergab, dass chinesische Callcenter-Mitarbeiter, die von zu Hause aus arbeiteten weniger Pausen machten und effizienter waren. Eine andere Studie von LRN, welche 2014 beim WEF in Davos vorgestellt wurde, zeigte, dass Unternehmen, die ihren Mitarbeitern mehr Freiheiten einräumten, 10-20 Mal wahrscheinlicher eine bessere Leistung erbrachten als Unternehmen mit niedrigen Freiheitswerten.
Diese Erkenntnisse aus der Arbeits- & Organisationspsychologie wurden vor allem im europäischen Raum und besonders in staatlichen Verwaltungen und Organisationen bisher einfach ignoriert. Der Pandemie sei Dank, dass sich dies nun verändern wird.
Wenn nun übermässige Kontrolle und Regulation nicht nur unnötig, sondern auch noch schädlich ist, was bedeutet dies für Manager? Werden diese obsolet?
Der Beruf des Managers ist ein Produkt der Industrialisierung. Die Effizienz der Massenproduktion in den Fabriken war von grösster Bedeutung. Der amerikanische Ingenieur Frederick Winslow Taylor (1856-1915) begründete in diesem Zusammenhang Ende des 19. Jahrhunderts den Begriff «Scientific Management», welcher heute vor allem auch als «Taylorismus» bekannt ist. Das Prinzip des «Scientific Management» besteht aus einer klaren Prozesssteuerung von Arbeits- und Produktionsabläufen. Durch Arbeitsstudien wurden die für eine Produktion notwendigen Arbeitsschritte erfasst und in der Folge durch das Management detailliert mittels eines Prozesses vorgeschrieben und deren Umsetzung ebenfalls durch das Management kontrolliert.
Durch das Fabriksystem, wo jeder Arbeiter nur noch einen klar bestimmten Arbeitsschritt unternimmt, wurde es auch zwingend notwendig, dass die Arbeit der verschiedenen Arbeiter gleichzeitig zu erfolgen hatte. Somit mussten festgelegt werden, zu welchem Zeitpunkt der Arbeitstag beginnt und endet und wann die Arbeitenden Pause machen können. Mit der Einführung des Fliessbands gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wurde die Notwendigkeit der zeitlichen Regulierung der Arbeit noch akzentuiert.
Die damals neue Arbeitsbedingungen hatten zur Konsequenz, dass es nun Leute brauchte, welche genau diese Arbeitsbedingungen mittels Vorgaben und Prozessen vereinheitlichten und regulierten und natürlich auch kontrollierten. Somit entstand ein neuer Beruf, jener des Managers.
Einen grossen Einfluss auf die Bedeutung von «Management» hatte auch Taylors Zeitgenosse Max Weber. Der deutsche Soziologe und Nationalökonom (1864 – 1920) war der Überzeugung, dass die Bürokratie das wichtigste Element für eine effizient funktionierende private Unternehmung oder eine staatliche Organisation sei. Seine Theorie des Managements, auch bürokratische Theorie genannt, betont die Wichtigkeit von strengen, klar festgelegten Regeln und einer hierarchischen Verteilung der Macht und der Verantwortlichkeiten.
Weber befürwortete, dass das Management in Schichten organisiert wird, wobei jede Schicht für die Leistung ihres Teams verantwortlich ist. Weber glaubte, dass jede Ebene des Managements die darunter liegenden Ebene zu beaufsichtigen hat, während sie der Kontrolle der darüber liegenden unterliegt. Somit haben die Personen an der Spitze der Managementhierarchie die meiste, diejenigen an der Basis die geringste Macht.
Mit der Digitalisierung und der zunehmenden Bedeutung der künstlichen Intelligenz hat sich die Arbeitswelt seit mehreren Jahrzehnten aber zunehmend verändert. Fabrikarbeiter wurden fast gänzlich, auch wieder im Sinne der Effizienz, durch Roboter ersetzt. Ein Trend der sich auch auf andere Berufe ausweiten wird. Auch ist es nicht mehr notwendig, dass wir alle zur gleichen Zeit arbeiten oder, dass wir alle gleich lange arbeiten. Das Resultat ist entscheidend, nicht wie viel Zeit jemand an seinem Arbeitsplatz verbringt. Wenn jemand im Stande ist die erwartete Wochenleistung innerhalb eines Tages zu erbringen, dann ist es nicht verwerflich, wenn sie den Rest der Woche am Strand verbringt. Es gibt definitiv auch Fussballer, die während einem Spiel mehr herumrennen als Lionel Messi, aber dennoch weniger effizient sind und auch weniger verdienen als Messi.
Wenn man sich dem bewusst wird und der weiteren Logik folgt, dann sind Manager – oder zumindest ganz viele von ihnen - tatsächlich obsolet. Wer braucht schon jemanden, der einem sagt, wann und wo er etwas, wie zu tun hat? Kommt hinzu, dass Manager ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor sind.
Statt Manager, brauchen wir mehr Leadership in den Organisationen. Die meisten Menschen verwenden die Begriffe Manager und Leader (oder Führungskraft) im gleichen Sinn. Dies ist aber falsch. Warren Bennis, einer der Pioniere der zeitgenössischen Führungsforschung, pflegte zu sagen: "Der Manager macht die Dinge richtig; ein Leader macht das Richtige."
Viele Manager verbringen einen erheblichen Teil ihres Tages in Sitzungen. Sie tragen Statusberichte zusammen, lassen Cockpits ausfüllen, formulieren Regeln, kontrollieren Abläufe und Arbeitszeiten der Unterstellten. Die gewonnen Erkenntnisse werden in Berichten zusammengefasst, die dann wiederum breit in der Organisation verschickt werden und durch die meisten Empfänger gelöscht oder ignoriert werden. Um das eigene Dasein und die mit der Funktion einhergehenden Autorität zu rechtfertigen, geben sich Manager nicht selten auch eigene Aufträge. Zudem beginnen sie mit dem Mikromanagement ihrer Unterstellten und erfinden immer neue Formulare und Prozesse.
Ich bin überzeugt, dass fast alle von uns Manager kennen, von denen wir uns fragen, was sie der Organisation genau für einen Mehrwert bringen.
Bei Leadership geht es hingegen darum, eine Richtung vorzugeben. Es geht darum, eine Vision zu schaffen und die Menschen zu befähigen und zu motivieren, diese Vision auch erreichen zu wollen. In seiner grundlegendsten Form geht es bei Leadership darum, eine Gruppe von Menschen zu mobilisieren, um gemeinsam eine bessere Zukunft zu schaffen.
Leadership ist nicht nur auf visionäre CEOs beschränkt. Leadership kann von jedem Mitarbeitenden von jedem Teammitglied kommen. Alles was es braucht ist die Leidenschaft etwas verändern zu wollen und die Fähigkeit andere dazu zu inspirieren mit einem diesen Weg der Veränderung zu gehen.
Leadership bedeutet auch, die Rolle eines Coaches einzunehmen. Das heisst, für seine Leute da zu sein, sie zu unterstützen, sich für sie als Mensch zu interessieren, ihnen bei ihrer Entwicklung zu helfen.
Eine echte Führungskraft entscheidet, motiviert und übernimmt die Verantwortung. Viele Manager begnügen sich hingegen mit dem Regulieren, Kontrollieren und Sanktionieren. Letzteres ist natürlich auch viel einfacher als zu führen. Man folgt einfach den Richtlinien, es braucht keine Vision und vor allem muss man keine Verantwortung übernehmen.
Es ist nicht so, dass es Management in Organisationen gar nicht braucht. Natürlich braucht es in Unternehmungen nicht nur Visionäre, sondern auch Menschen, welche mittels vorausschauender Planung, mit geschickter Ressourcenzuweisung und durch eine überlegte Budgetierung günstige Voraussetzungen zur Umsetzung der Vision schaffen. Ohne Management würde wahrscheinlich Chaos entstehen.
Das Problem aber ist, dass es Management im heutigen Arbeitsumfeld nicht mehr in gleichem Ausmass braucht, wie noch vor hundert Jahren. Ein weiteres Problem ist, dass vor allem in grossen, etablierten Organisationen sich der Fokus mit der Zeit weg vom Leadership hin zum Management verlagert. Das Management verdrängt zunehmend Leadership. Management will bewahren, nicht erneuern. Dadurch laufen vor allem grosse Organisation Gefahr, dass sie irgendeinmal wie die Dinosaurier enden.
Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die Menschen bei der Arbeit selbst managen können, dass sie selber wissen, was sie wann und wie zu tun haben. Schlussendlich haben wir es in der Arbeitswelt mit erwachsenen Menschen zu tun. Menschen, die ihr eigenes Leben managen. Menschen, die sich um ihre Kinder kümmern, ihr eigenes Budget haben, selbständig entscheiden, was sie sich anschaffen wollen, wohin sie in die Ferien gehen, wie sie ihre Freizeit gestalten wollen oder mit wem sie in Beziehung treten. Es zeugt von einem völlig negativen Menschenbild, wenn wir glauben, dass der Mensch als Arbeitnehmer, gemanaged, kontrolliert und bevormundet werden muss.
Der Mensch hat bestimmte universelle psychologische Bedürfnisse: Das Bedürfnis, gleichwertig behandelt zu werden, das Bedürfnis nach persönlichem Wachstum und das Bedürfnis nach Selbstbestimmung. Jedes dieser Bedürfnisse wird von traditionellen Befehls- und Kontrollhierarchien häufig und systematisch verweigert. Dies führt zu Unzufriedenheit und zu schlechten Leistungen.
In Unternehmungen, wie Michelin, Decathlon oder W. L . Gore wurden die Hierarchien in den letzten Jahren massiv abgeflacht und die Manager von Kontrolleuren zu Coaches, welche die Mitarbeitenden und Teams auf ihrem Weg zur Erreichung der gemeinsamen Vision unterstützen, umgewandelt. Der Erfolg gibt ihnen recht. Spannend ist auch die Geschichte der amerikanischen Firma Morning Star, dem grössten Tomaten-Verarbeiter der Welt mit einem Umsatz von einer Milliarde Dollar. Diese Firma hat seit ihrer Gründung im Jahre 1970 stets auf Hierarchien und Manager verzichtet.
Der Mensch braucht Freiheit, um glücklich zu sein, sei es als Bürger oder als Werkstätiger. Je glücklicher und zufriedener der Mensch, desto erfolgreicher ist er. Also, nutzen wir die Erfahrungen aus der Pandemie, die Erkenntnisse aus der Wissenschaft und von innovativen Unternehmungen und lösen wir uns endlich von Taylors Idee, dass die Kontrolle der Mitarbeitenden überlebenswichtig ist für eine Organisation. Geben wir den Menschen die Freiheit ihr Leben und ihre Arbeit grösstmöglich selbständig zu gestalten und auch die Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen.
Quellen:
Stanfort University: Does working from home Work? Evidence from a chinese Experiment (2014)
Cision PRNewswire: The return of Freedom: New Research from LRN (2014)
Forbes: Why People feel more productive working remotely (2017)
Remote Work Productivity Study finds Surprising Reality. 2-Year-Analysis by GreatPlaceToWork (2020)
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